Durst 06/2020

8  Konsumentenstimmung «Die Wertschätzung wird zunehmen» Werden die Menschen schnell wieder zum gewohnten Alltag zurückkehren oder hat die Krise ihre Gewohnheiten und ihr Verhalten nachhaltig verändert? Werden die Gäste jetzt wieder wie vor dem Stillstand in Restaurants und Bars einkehren oder Menschenansammlungen meiden? Der Psychologe Bartholomäus Wissmath hat Antworten auf die vielen Fragen. Psychologe Bartholomäus Wissmath macht der Branche Mut: Wie wirken sich die Corona-Pandemie und die Zeit des Stillstands auf die Menschen aus? Bartholomäus Wissmath: Für uns alle ist das eine grosse Herausforderung – angefangen bei den dramatischen Bildern in den Medien bis hin zu Einschränkungen der Bewegungsfrei­ heit und des täglichen Lebens. Viele Menschen haben Fälle im persönlichen Umfeld erlebt oder sind möglicherweise sogar selbst er­ krankt. Für die meisten war und ist diese Ex­ tremsituation eine neue Erfahrung. Welche Auswirkungen haben solch neue Erfahrungen auf unsere Befindlichkeit? Wenn das Umfeld gesund geblieben ist, wird man nach dieser Ausnahmesituation die ge­ wohnten Freiheiten viel mehr schätzen als vor der Krise. Konsum, Reisen oder Freunde tref­ fen, all das erhält eine grössere Wertschätzung. Sind oder waren sie jedoch direkt betroffen, werden sich vieleMenschen Fragen stellen, die Ängste auslösen. Wann sonst müssen sich zum Beispiel Jugendliche über den Einsatz von Beatmungsgeräten Gedanken machen? Restaurants konnten nicht öffnen, Hotels hatten kaumGäste: In der Branche sind Existenzängste aufgekommen. Was kann man tun, damit daraus nicht Panik entsteht? Informationen sind wichtig. Die Menschen müssen verstehen, was passiert. Solange sie das Gefühl haben, dass die Behörden Mass­ nahmen treffen, die sinnvoll und wirksam sind, gibt es keine Panik. Selber aktiv werden, ist auch eine Impfung gegen Panik. Wer sich zum Beispiel für Nachbarschaftshilfe engagiert, läuft weniger Gefahr, in Panik zu geraten. So wenig Panik hilft, so verständlich ist, dass auch viele Gastronomen und Hoteliers jetzt von Sorgen geplagt werden. Eine solch dramatische Situa­ tion hatten wir seit Jahrzehnten nicht. Wird sich das Verhalten der Schweizerinnen und Schweizer durch diese schwierige Situation und insbesondere auch durch die Zeit des Stillstands nachhaltig verändern? Wenn die Schweizmit einemblauen Auge davon kommt, werden viele Menschen diese Krise relativ schnell vergessen. Ich rechne für die Zeit nach dem Stillstand sogar mit einem ge­ steigerten Konsumverhalten. Viele Menschen haben ein Nachholbedürfnis und wollen zum Beispiel die Geselligkeit in Lokalen wieder ge­ niessen. Wir kämpfen zwar noch mit der Krise, doch wir werden uns an die neue Situation und an die wiedererlangten Freiheiten gewöhnen. Trotzdem: Die ungewohnte Krise kann das Verhalten der Gäste nachhaltig verändern: Macht es Sinn, wenn Gastronomen und Hote- liers ihre Geschäftskonzepte überarbeiten? Nachhaltige Veränderungen kann es durchaus geben. Der Trend hin zu Lieferservice und Take- away wird bestimmt verstärkt. Es gibt Men­ schen, die in der Zeit der Isolation den Liefer­ service oder den Take-away-Dienst entdeckt haben und künftig eher mal von diesemService Gebrauchmachen werden. Take-away ist für sie zu einer weiteren Möglichkeit geworden, aber nicht zur Alternative zum Restaurantbesuch. Haben Sie grundsätzliche Empfehlungen an Gastronomen und Hoteliers? Den Kopf nicht in den Sand stecken, sich nicht von düsteren Prognosen überwältigen lassen und sich auf die Bewältigung der Situation fo­ kussieren. Blinder Aktionismus aus der Not heraus ist nicht angebracht. Neue Chancen soll man erkennen, es wäre aber falsch, die Erfah­ rungen der Vergangenheit jetzt durch ein neues Geschäftsmodell über den Haufen zu werfen. Und wenn sich herausstellen sollte, dass uns diese Krise wirtschaftlich härter und länger trifft als ursprünglich angenommen? Dann kann Konsum bei gewissen Menschen ein Schamgefühl auslösen. Geld ausgeben wird von ihnen dann als etwas Schlechtes empfun­ den. Man muss diese Menschen beinahe zwin­ gen, sich etwas Gutes zu tun. Über kurz oder langwird die Krise aber vorbei gehen. Dannwird man sich von diesem Schamgefühl erholen. Sehen Sie auch Positives in der Krise? Neben den negativen Folgen kann diese Krise helfen, viele Dinge des Lebens wieder zu schät­ zen, Beziehungen zu festigen, eigene Stärken zu entdecken und neue Aufgaben zu finden. An­ ders als Handlungen, die von Menschen vor­ sätzlich begangen werden, ist COVID-19 eine Krankheit, welche die gesamte Menschheit gleichermassen betrifft. Auf der ganzen Welt engagieren sich Menschen für Hilfsbedürftige und Kranke. Das ist doch schonmal sehr positiv. Der Lehrbeauftragte am Institut für Psychologie der Uni Bern hat eine Broschüre zum Umgang mit der Corona-Krise geschrieben. Bartholomäus Wissmath ist auch Dozent an der «FernUni Schweiz», Fachperson der psychologischen Nothilfe im Care Team des Kantons Bern und Geschäftsführer von w-hoch2, einem Spin-off der Uni Bern. www.w-hoch2.ch BA R T HO L OMÄU S W I S SMAT H «Viele Menschen wollen Geselligkeit in Lokalen wieder geniessen.» Dr. Bartholomäus Wissmath, Psychologe

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